Angeblich gleichgeschaltet und „Lügenpresse“: Journalismus braucht Glaubwürdigkeit

Einer der oft wiederholten Vorwürfe gegen Medien ist die Behauptung, sie seien gleichgeschaltet. In fast allen Medien sei immer das Gleiche zu lesen. Zudem verbreiteten sie ein holzschnittartiges Weltbild, worin Russland und sein Präsident Vladimir Putin „böse“ und Präsident Barack Obama sowie die Vereinigten Staaten von Amerika „gut“ seien.
Diese Kritik ist zwar genauso holzschnittartig, wie ihr zufolge die meisten Medien angeblich sein sollen; doch sie hat einen durchaus diskussionswürdigen Kern. Begründet ist er in der Vormachtstellung der Deutschen Presseagentur (DPA) in der Berichterstattung deutscher Medien und in oft mangelnder Differenziertheit des Denkens der Verantwortlichen in den Redaktionen.
Um diesen Vorwurf zu entkräften, muss seriöser Journalismus investigativ arbeiten und die derzeit vorherrschende Stellung der DPA aufbrechen. Neben den Dutzenden kleiner Spezialagenturen benötigt Deutschland mindestens eine weitere konkurrenzfähige große Presseagentur. Zudem sollten Redaktionen Meldungen der DPA ebenso kritisch hinterfragen wie andere Manuskripte, die bei ihnen ankommen.
Außerdem sollten Journalisten künftig differeziertere Sichtweisen auf internationale Konflikte verbreiten. Eine Parteinahme für „den Westen“ verbietet sich, wenn die Lesenden wirklich gründlich informiert werden sollen, ebenso wie eine Parteinahme für Vladimir Putin. Putin ist weder der Leibhaftige noch ein wahrer Menschenfreund, sondern ein mit allen Wassern gewaschener Machtmensch.
Auch Donald Trump macht nicht nur Fehler, wenngleich er anscheinend unberechenbar ist und sich kaum an die unausgesprochenen Regeln der Diplomatie hält. Doch keine Politikerin und kein Politiker ist ein „Heilsbringer“ oder der „Teufel“ schlechthin.
Weigerhin muss eine seriöse Berichterstattung trennen zwischen einem Land und seiner Bevölkerung sowie den dort Regierenden. Weder die Regierung Israels vertritt die Interessen aller Israeli, noch die Chinas die der Menschen dort oder die Bundesregierung alle Bundesbürger.
Engagierter Journalismus sollte sich zum Fürsprecher der Humanität, des Rechts und der Verfassung machen. Verstoßen Gesetzesvorschläge gegen das Grundgesetz, so muss ein Bericht über solche Ideen darauf hinweisen. Viele verfassungswidrige Vorstöße populistischer Stammtisch-Politiker würden sich dann vielleicht von vornherein selbst erledigen.
Leider ist der Journalismus jedoch auch in Deutschland vielfach zur Hofberichterstattung verkommen. Seine häufig zu große Nähe zu Politikern und Großkonzernen entfremdet die Journalisten von den „Opfern“ der Politik und erzeugt eine obrigkeitsnahe Wahrnehmung. Zugleich erzeugt sie bei den Betroffenen berechtigten Ärger über die gefühllos über sie hinweggehenden Medien.
Wenn die Süddeutsche Zeitung (SZ) eine „Orbanisierung“ der ungarischen Medien beklagt, dann sollten sich die Hauptstadt-Korrespondenten in Berlin fragen, ob sie selber nicht „großkoalitionisiert“ berichten. Zu oft beschreiben sie Vorgänge aus dem Blickwinkel der intriganten Ränkeschmiede oder Haudrauf-Problemlöser und nicht aus dem ihrer Leserschaft oder gar der Betroffenen.
Jede Nachricht sollten verantwortungsbewusste Redaktionen deshalb möglichst auf ihre Auswirkung auf den Alltag der Menschen hin überprüfen und darüber auch berichten. Nich der Dauerstreit zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer über eine „Obergrenze“ sollte Thema sein, sondern die Frage, ob eine solche Regelung überhaupt verfassungskonform und mit Internationalem Recht vereinbar ist sowie die praktische Möglichkeit ihrer Durchsetzung und deren Folgen für Geflüchtete.
Wenn Politik immer nur aus der Sicht der Herrschenden beschrieben wird, empört sich die Bevölkerung zu Recht, dass sie nicht vorkommt. Nicht nur Regierung und Opposition im Parlament machen Politik, sondern auch unzählige Organisationen und Vereine der Bürgergesellschaft. Wichtig ist, dass nicht immer die selben üblen „üblichen Verdächtigen“ in Talkshows oder Interviews vorkommen.
Journalismus darf sich nicht als Promotion für eitle Politiker missbrauchen lassen. Nicht jeder Pubs, den ein Politiker lässt, ist gleich eine Nachricht wert. Das gilt für populistische Parteien und ihre Protagonisten ebenso wie für die Granden der Regierungskoalition oder der Opposition.
„Innere Pressefreiheit“ wäre ein wesentlicher Weg zur Umsetzung einer größeren Pluralität innerhalb einer Redaktion. Unterschiedliche Sichtweisen auf ein Problem vergrößern die Chance, der Leserschaft eigene Blickwinkel auf das jeweilige Thema zu eröffnen und sie als „mündige Bürger“ ernst zu nehmen.
Tabubrüche sind kein Wert an sich. Wichtig wäre jedoch, Tabus auf ihre demokratische Legitimität und ihre gesellschaftliche Bedeutung hin zu hinterfragen. Journalistische Verantwortung besteht darin, in jedem Einzelfall zu entscheiden, was man berichtet und was man aus ethischen Gründen besser nicht veröffentlicht.
Hintergrundberichte über das Ghema Flucht müssten auch die Verstrickung von Geheimdiensten und Militärs in instabile Verhältnisse der Herkunftsländer und eventuelle Waffengeschäfte mit deren möglicherweise korrupten Regierungen aufzeigen. Die vielzitierte „Bekämpfung der Fluchtursachen“ würde dann möglicherweise sehr schnell zu einem innenpolitischen Thema, weil sie die Verantwortung der Regierenden hierzulande für das Aufflammen von Krisen und Konflikten in vielen Ländern einschlössse.
Eine solche Berichterstattung brächte den Journalismus zweifelsohne an die Grenzen seiner Arbeitsfähigkeit. Allerdings wäre sie notwendig, um Rechtspopulisten, Hetze und Fake News etwas Wirksames entgegenzusetzen. Zumindest müssen Medien aber den häufig vorgebrachten Vorwurf entkräften, sie seien „alle gleichgeschaltet“.

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