Mein Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus: Haltung und bewahren

Ich bin ein Journalist der alten Schule. Dafür bin ich dem Schicksal dankbar.
Gelernt habe ich meinen journalistischen Beruf nicht an der Journalistenschule, sondern in der harten Praxis freiberuflicher Zeilenschreiberei und im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen haben mir manchen Tipp gegeben, wie ich meine Beiträge besser gestalten kann. Gerade unter den älteren Kolleginnen und Kollegen waren viele großartige Persönlichkeiten, deren Lebenserfahrung oft in die Zeit des Hitler-Faschismus zurückreichte und die sich der Gefahren eines nachlässigen Umgangs mit Sprache sehr bewusst waren.
Eine präzise und verständliche Sprache sowie die Treue zu Fakten war in den 80er und 90er Jahren die Leitlinie journalistischer Arbeit. Ungenaue Aussagen wie „mehr als 27.00 Neuinfektionen“ sind schlampige Arbeit, wenn die genaue Angabe „27.728 Neuinfektionen und 952 Todesfälle“ möglich ist. Jede einzelne betroffene Person hat das Recht, zumindest in der genauen Zahl erwähnt zu werden.
Lesende und Zuhörende oder Zuschauende sind mündige Menschen. Anhand der übermittelten Fakten können sie sich meist ihre eigene Meinung bilden. Einordnende Hintergrundinformationen können dabei helfen, eigene Kommentare in der Regel aber nicht.
Haltung gehört auch dazu zu einem hochwertigen Journalismus; allerdings ist sie das Gewürz, das den guten Geschmack verstärken, aber nicht verfälschen sollte. Missionarisch herumzulaufen mit der großen Schöpfkelle überragender Weisheit war bei meinen journalistischen Vorbildern ebenso verpönt wie eine angebliche „Neutralität“, die schlimmste Ereignisse achselzuckend überliefert.
Die Wortwahl ist selbstverständlich essenziell für jede journalistische Tätigkeit. Welches Wort wo verwendet oder nicht verwendet wird, sagt selbstverständlich viel aus übber den Autor eines Texts.
Werbesprache sollte man nicht unreflektiert übernommen. „Kernkraftwerke“ klingen wie Holzhackschnitzelöfen für Früchte, wohingegen Atomkraftwerke die unfassbare Gefahr der beschriebenen Anlagen wenigstens ein wenig erahnen lassen.
Sensibilität für Sprache war wichtig und ist es immer noch. Allerdings ist Sensibilität eine Herangehensweise, die von Einstellungen der handelnden Person ausgeht. Sprachliche Sensibilität können Kolleginnen und Kollegen schärfen, aber nicht aufoktroieren.
Von Dietrich Jörn Weder habe ich gelernt, das Word „Akzeptanz“ zu hinterfragen. In diesem Begriff steckt immer die vermeintliche Überlegenheit desjenigen, der für seine – vermeintlich richtigen – Ideen oder Pläne nicht die erwünschte Zustimmung erhält. Diese Herangehensweise leugnet die Infragestellung dessen, was man „dem dummen Pöbel“ nur auf die richtige Weise schmackhaft machen möchte.
Das niemand „an den Rollstuhl gekettet“ ist, habe ich von Ernst Klee gelernt. Diese Beschreibung leugnet die Manövrierfähigkeit moderner Rollstühle ebenso wie den Freiheitsdrang ihrer Nutzerinnen und Nutzer, die aus ihrem Rollstuhl heraus oft sehr viel Freiheit verwirklichen können.
Das Wort „ausmerzen“ ist schlimmste Nazi-Terminologie. In seinem kleinen Buch „Lingua tertii Imperii“ (LTI) hat Viktor Klemperer viele Nazi-Ausdrücke zusammengestellt, die Menschen zu angeblichen „Parasiten“ herabwürdigen oder gar „mit Stumpf und Stiel ausrotten“ wollen.
All diese Beispiele belegen die Bedeutung eines bewussten Umgangs mit Sprache. Sie alle zeigen, wie wichtig die Auseinandersetzung mit Wörtern ist.
Dennoch sollte keine Redaktion zu einer „Sprech- oder Schreibdikatur“ mutieren. Freiheit der Wortwahl unter bewusster Auseinandersetzung mit dem möglichen Sinngehalt der Wörter ist nämlich auch ein Element der Pressefreiheit.
Von Anton Andreas Guha habe ich gelernt, wie wichtig die sogenannte „Innere Pressefreiheit“ inmerjalb der Redaktionen ist. Sie sichert ein vielfältiges Meinungsbild innerhalb einer Zeitung oder Zeitschrift und garantiert damit die Auseinandersetzung auch mit abweichenden Meinungen. Schließlich ist nach dem wohl berühmtesten Spruch von Rosa Luxemberg Freiheit „auch immer die Freiheit der Andersdenkenden“.
Darum plädiere ich für ausgiebige Debatten über Wörter und eine sensible Wortwahl ohne jeglichen Zwang. Das unsägliche „N-Wort“ kann in manchen Zusammenhängen notwendig sein, um einen Sachverhalt zu übermitteln, während es im Alltag fast immer eine obsolete Beleidigung ist.
Die Zeiten ändern sich; und wir ändern uns mit ihnen. Lebenslanges Lernen ist aber nur möglich, wenn die Offenheit für Auseinandersetzungen mit Neuem ebenso wie mit Traditionellem besteht. Diese Haltung wünsche ich mir von meinen Kolleginnen und Kollegen aller erdenklichen Geschlechter und Altersstufen.
Allerdings wünsche ich mir auch Respekt vor der Leistung der „Altvorderen“. Auch für den Journalismus gilt die alte Erkenntnis des Humanismus: „Wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen.“

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