Gerecht gendern: Weniger ist für viele mehr

Die „Gender-Sternchen“ entzweien die Gemüter. Behörden sollen künftig keine Sonderzeichen mehr mitten im Wort verwenden.
Das hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht den Bundesbehörden empfohlen. Geschlechtergerechte Sprache solle durch neutrale Formulierungen wie „Redeliste“ oder „Teilnehmende“ sowie die Aufführung der Vertreterinnen und Vertreter von Institutionen erreicht werden. Sternchen, Doppelpunkte mitten im Wort oder der „Unterstrich“ schließen schließlich viele Lesende aus.
Damit hat die Justizministerin Recht. Für Blinde, die Texte mit vielen gegenderten Worten an einer Sprachausgabe mit Ansage der Sonderzeichen lesen, ist diese Anweisung eine langersehnte Erleichterung.
Besonders nervig ist für sie die Anhäufung gleich mehrerer worte mit Gender-Sternchen in einem Satz sowie die Verwendung dieser Sonderzeichen in langen Komposita. „Bürger*innenbeteiligung“ ist so ein zusammengesetztes Wort. Die Stadt Marburg sollte es sofort aus ihrem Wortschatz streichen und einen neutraleres wort finden, das auch den paternalistischen Begriff „Beteiligung“ vermeidet.
Für Blinde, die Texte anhand einer Sprachausgabe mit Sonderzeichenansage lesen, ist das ideologisch verblendete „Übergendern“ ein Qual. Ebenso stoßen auch Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung oder Personen mit nichtdeutscher Muttersprache bei solchen Wörtern auf Hürden. Eine gegenseitige Rücksichtnahme sollte zumindest das „Übergendern“ mit Binnen-Sternchen innerhalb zusammengesetzter Worte und der Anhäufung gleich mehrerer derart gegenderter Wörter in einem Satz vermeiden.
Natürlich sind nicht alle Blinden und Sehbehinderten gleich. Manche schalten die Sonderzeichenansage in ihrer Sprachausgabe aus, weil sie nur der fortlaufenden Sprache zuhören möchten. Andere benötigen diese Einstellung hingegen, weil sie Texte korrigieren und dafür die Ansage von Sonderzeichen benötigen.
Jemand stelle sich einmal vor, wie irritierend es wirkt, wenn der Satz „Leser*innen und Zuhörer*innen erklärten den Reporter*innen ihre Erfahrungen mit den Vorträgen der Künstler*innen“ mit einer Unterbrechung bei jedem Stern angezeigt würde: Die Bildschirmanzeige für Sehende kann dergleichen kaum simulieren. Vergleichbar wäre vielleicht, wenn bei jedem Sonderzeichen der Bildschirm für zwei Sekunden schwarz würde und erst danach wieder erschiene.
Das oft anzutreffende „Übergendern“ mit einer ideologisierten Anwendung von Gender-Sternchen bewirkt im Endeffekt eine Gegenreaktion auch vieler überforderter Leute. Damit treibt die – oft harsch eingeforderte – „Political Correctness“ einige sogar in die Arme erzkonservativer Kreise, die ihren Frauenhass und ihre Homophobie in einer generellen Kritik am Gendern ausdrücken. Ein zurückhaltendes Gendern hingegen würde das Anliegen einer geschlechtergerechten Sprache verdeutlichen, ohne die Mitmenschen zu überfordern und die Ideologen damit indirekt zu stärken.
Grundsätzlich ist das Sternchen als Zeichen des Respekts gegenüber diversen Menschen durchaus begrüßenswert. Deswegen ist es bei aufgeklärten Redaktionen auch nicht gänzlich tabu. Allerdings wäre eine plakative Anhäufung dieses Sonderzeichens in Texten eine prahlerische Selbstdarstellung edler Geschlechtergerechtigkeit auf Kosten Behinderter und Deutsch lernender Menschen.
Sprache kann gesellschaftliche Diskriminierung nicht beseitigen. eine bewusste Sprache ist jedoch wichtig, um Probleme deutlich zu machen. Noch wichtiger jedoch ist ein Verhalten, das allen Menschen – Frauen und Männern, Trans*personen und diversen Menschen ebenso wie Behinderten und Menschen mit Migrationsgeschichte oder Lernproblemen – gleichermaßen Respekt entgegenbringt.
Identitätspolitik sollte immer auch die jeweils anderen Gruppen berücksichtigen. Niemals darf sich eine Gruppe auf Kosten aller anderen durchsetzen. Das gilt auch für größere Gruppen gegenüber kleineren.
Solidarisch lässt sich am besten kämpfen für Gerechtigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dazu kann auch Sprache beitragen Doch der behutsame Griff nach den Sternen übt in erster Linie praktizierte Solidarität mit Benachteiligten und Ausgegrenzten, statt sich auf ideologische Sprachüberdehnungen oder bevormundende Sprachzensur zu konzentrieren.

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