20 Jahre fjh online: Internet ist Autonomie und Verantwortung

Seit 20 Jahren bin ich nun online. Anfang Februar 1998 hätte ich mir nie vorstellen können, was aus dem Worldwide Web einmal werden würde.
Texte prägten das Internet. Bilder gab es anfangs gar nicht. Aber im weltweiten Datennetz konnte ich als Blinder mit Hilfe meiner Sprachausgabe endlich selbständig Nachrichten schreiben und Internetseiten lesen.
Eingewählt habe ich mich über ein Modem, das minutenlang brauchte, um eine Verbindung herzustellen. Selbst kurze Mails benötigten lange, um beim Server anzukommen, dessen Annahmebestätigung die Leitung dann automatisch kappte.
Surfen durfte man auch nicht allzu lange, denn jede Minute kostete bares Geld. Allerdings war es schon eine erfreuliche Erfahrung, ohne andere Menschen Zeitung zu lesen oder Internetseiten von Vereinen oder Firmen aufzurufen.
Anfang Februar begann ich mit dem Mailen. Damit konnte ich meine Texte den Auftraggebern direkt über die Telefonleitung zusenden. Zuvor hatte ich sie per Brief verschickt oder ihnen zugefaxt.
Noch im Februar 1998 habe ich dann auch meine erste Internetseite erstellt. Ihre Adresse war eine Subdomain von T-Online, dessen Dienste als Provider ich damals auch für die Einwahl in Anspruch nahm.
Meine reinen Textseiten in HTML waren 1998 die erste Internetpräsenz eines Freien Journalisten in Marburg. Selbst die Oberhessische Presse (OP) besaß damals noch keine eigene Webseite. Lediglich der Marbuch-Verlag war schon vor mir online gegangen.
Noch im selben Jahr erstellte ich auch die ersten Internetseiten für die Humanistische Union (HU(. Damit feiert die Internetpräsenz der HU Marburg 2018 ebenso ihr 20-jähriges Bestehen wie meine eigene Website. Allerdings besaßen beide Webpräsenzen bis ins Jahr 2000 noch keine eigene Webdomain.
Heute ist das Internet für mich absolut unverzichtbar. Mit marburg.news brachte ich am 6. März 2000 die erste Onlinezeitung für Marburg an den Start. Damit wollte ich zunächst nur ohnehin vorhandene Texte über Marburg online stellen, baute das Projekt in den folgenden Jahren jedoch immer weiter aus zu einer kostenlosen Nachrichtenplattform über die mittelhessische Universitätsstadt.
Vorausgegangen ins Internet waren mir mein Bruder Günter und der blinde Marburger Journalist Jens Bertrams. Seit 1994 besaß Günter Hanke eine eigene e-Mail-Adresse über den Karlsruher Verein INKA. 1996 ging Jens mit dem Verein „Behinderte in Gesellschaft und Beruf“ (BiGuB) online.
Insbesondere sein Engagement im Internet hat mich davon überzeugt, dass das Web gerade für Blinde viele Vorteile bietet. Die Selbstbestimmung beim Lesen der Zeitung wie auch vieler anderer Informationen war für mich das ausschlaggebende Argument. Hinzu kam allerdings auch die rasche und effiziente Übermittlung meiner Texte an die Auftraggeber mit Hilfe der e-Mail.
Begeistert genoss ich die grenzenlose Freiheit von Vorlesern dank meines sprechenden Computers. Seither weiß ich, wie wichtig das Recht auf Information gerade für Menschen mit Beeinträchtigungen ist. Jederzeit nach Belieben zu hören, was mir mein quäkender Sprachsynthesizer vorliest, war wirklich ein wunderbares Gefühl gleichberechtigter Teilhabe am Leben.
Im Laufe des Jahres 1998 setzten sich dann jedoch immer mehr grafische Elemente im Internet durch. Icons und Logos ohne Beschriftung führten dazu, dass die neu gewonnene Autonomie schnnell wieder eingeschränkkt wurde. Obwohl die „Hypertext Markup Language“ (HTML) von Anfang an einen „Alt“-Text zur alternativen Unterlegung grafischer Elemente mit Text vorsah, waren die meisten Webseiten ohne diese Alt-Texte programmiert.
Dagegen wollten Jens und ich angehen und die neue Selbständigkeit im Web verteidigen. Angesichts der neuen Hürden für unsere Mobilität im Netz übertrugen wir den Begriff „Barrieren“ vom Bauwesen auf das worldwide Web. Im Herbst 1998 gründeten wir mit weiteren Behinderten und Nichtbehinderten den Arbeitskreis Barrierefreies Internet (AKBI) zunächst unter dem Dach des BiGub.
Vieles hat sich seither geändert. Niemals hätte ich mir vor 20 Jahren träumen lassen, dass die Mobiltelefone so rasch eine dermaßen starke Verbreitung finden und zum Surfen und sogar Fernsehen und Videos Anschauen im Netz dienen würden.
Eine Prognose zur Weiterentwicklung der Technik wage ich angesichts dieser Erfahrung lieber auch nicht. Allerdings kann ich aus meiner persönllichen Erfahrung von 20 Jahren im Internet eine Warnung formulieren: Die Entwicklung der technik bedarf ständiger Beobachtung und des gemeinsamen gesellschaftlichen Engagements zugunsten ihrer menschenfreundlichen Nutzung.
Gerade in Anbettracht der Programmierung „selbst lernender“ Algorithmen und der allgegenwärtigen Überwachung ist dieses Engagement überlebensnotwendig. Wer meint, er habe „nichts zu verbergen“, der sollte sich einmal splitternackt auf den Marktplatz stellen und seine Bankdaten einschließlich der PIN für den Geldautomaten deutlich lesbar auf seine Stirn schreiben. Wer das lieber nicht will, dem müsste dann auch klar sein, dass jeder Mensch geschützte Bereiche unantastbarer Privatheit benötigt wie die Luft zum Atmen.

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