Brief an Deniz Yücel und die Freiheit in der Türkei: Ihr seid nicht allein

Heute sitzt Deniz Yücel ein Jahr in türkischer Haft. Seinen Brief an den Journalisten richtet Franz-Josef Hanke zugleich auch an die Öffentlichkeit in Deutschland.
Lieber Deniz Yücel, zwar kenne ich Dich nicht persönlich, doch möchte ich Dir heute einen persönlichen Brief schreiben. Ein Jahr sitzt Du heute in Haft; und das tut auch mir ganz persönlich weh.
Zunächst ein paar wenige Zeilen über mich, damit Du weißt, wer Dir da schreibt: Seit 1986 arbeite ich als Journalist. Ich engagiere mich in der Humanistischen Union (HU), in der Deutschen Journalisten-Union (DJU) und beim Arbeitskreis Barrierefreies Internet (AKBI).
Wichtigste Anliegen sind mir dabei das Eintreten für Freiheitsrechte und Demokratie, für Meinungsfreiheit und eine faire Berichterstattung sowie für den Respekt gegenüber jedem Menschen ohne Ansehen der Herkunft, der gesundheitlichen oder körperlichen Eigenschaften sowie seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung.
Auch Du hast, soweit ich das bislang feststellen konnte, für eine wahrheitsgemäße Berichterstattung und den Respekt gegenüber allen Menschen eingesetzt. Dafür schmorst Du nun seit einem Jahr hinter Gittern.
Was mich ganz persönlich betrübt, ist die Tatsache, dass der noch geschäftsführend amtierende Außenminister Sigmar Gabriel Dich zu einer Art „Verhandlungsmasse“ für dreckige Deals mit der türkischen Regierung gemacht zu haben scheint. Was mich persönlich betrübt, ist die Tatsache, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar öffentlich Deine freilassung fordert, aber offenbar nicht genügend Druck macht dafür. Was mich beschämt, ist die Tatsache, dass sie als Angehörige der deutschen Bundesregierung in meinem Namen handeln oder eben nicht handeln.
was mir wehtut, ist die Tatsache, dass Du nicht der einzige Journalist bist, der in der Türkei hinter Gittern sitzt. Neben Journalistinnen und Journalisten wurden dort auch Wissenschaftler, Lehrer, Beamte und Militärs allein wegen ihrer politischen Gesinnung eingesperrt. Längst ist die Türkei unter ihrem diktatorischen staatspräsidenten Rezep Tayb Erdogan kein Rechtsstaat mehr.
Was mich erbost, ist die Tatsache, dass die türkische Armee einen schmutzigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung innerhalb und außerhalb der Türkei führt. Was mich beschämt, ist die Nachricht, dass die türkische Armee mit deutschen Panzern in die kurdische Exklave Avrin in Syrien vorgedrungen ist. Das Versprechen „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ schließt für mich jede deutsche Beteiligung – auch durch Waffenlieferungen – an jedewedem Krieg aus.
Ich bin mir sicher, dass viele andere Menschen ebenso oder zumindest ähnlich denken wie ich. Du sollst also wissen, dass wir solidarisch an Deiner Seite stehen und an der Seite der vielen anderen Menschen in der Türkei und weltweit, die nur aufgrund ihrer Meinung unterdrückt, bedroht, verhaftet oder gar getötet wurden und werden.
Die deutsche Bundesregierung fordere ich auf, sich sofort und uneingeschränkt für Deine Freilassung einzusetzen. Ebenso muss sie sich auch für die Freilassung aller anderen Menschen einsetzen, die wegen ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer Haltund oder ihres Gewissens in Gefängnissen sitzen. Schließlich gilt nach meiner Überzeugung immer noch uneingeschränkt auch die Formulierung des Grundgesetzes: „Politisch Verfolgte genießen Asyl.“
Lieber Deniz Yücel, Du bist nicht allein. Das sollst Du wissen. Wenn Dir die Tage schwer werden in der Isolation hinter dicken Gefängnismauern, dann weine ich mit Dir um die Freiheit des türkischen Volkes, das großenteils seine Freiheit wiederhaben will.

Franz-Josef Hanke, Marburg

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

*