Redewendungen kommen und gehen. „Demut“ ist lange Zeit aus der Mode gekommen. Gleiches gilt für „sich begnügen mit“.
An die Stelle der selbsbescheidenen Verhaltensweise ist das Wort „verzichten“ getreten. Dieses Wort ist zwar ebenso als wie „sich begnügen“, hat aber eine ganz andere Bedeutung. Dieser feine Bedeutungsunterschied veranschaulicht den gesellschaftlichen Sinneswandel, der dem darauffolgenden Sprachwandel zugrunde liegt.
„Verzichten“ kann man nur auf etwas, was man bereits hat oder zumindest sicher glaubt. „Sich begnügen“ hingegen kann man auch mit etwas, was weniger ist als das Erhoffte, aber immer noch mehr als nichts. „Sich begnügen“ strahlt Zufridenheit mit dem Ergebnis aus, während „Verzichten“ immer eine großzügige Geste der – mehr oder weniger erzwungenen – Selbstbeschränkung ausdrückt.
Wichtig ist dieser kleine – aber feine – Unterschied gerade in der Diskussion um Einschränkungen während der Corona-Pandemie wie auch in der Debatte über Klimaschutz und Biodiversität. Viele werfen denjenigen Politikerinnen und Politikern, die Selbstbeschränkung anmahnen, eine „Verbots- und Verzichtspolitik“ vor. Diese Politik stehe „im Widerspruch zu Freiheit“ und demokratischer Selbstverwirklichung.
Mit lautem Geschrei fordern viele gerade jetzt im Sommer ihr angebliches „Recht auf Urlaub“ ein. Dass die gebuchte Fernreise möglicherweise mit Quarantäne und der Einschleppung gefährlicherer Virus-Varianten endet, scheint vielen egal zu sein. Ihre eigene Reisefreiheit stellen sie über die Gesundheit der Mitmenschen und die andauernde Öffnung von Restaurants, Kinos, Theatern und Schulen im Herbst.
Portugal kann ein ernüchterndes Lied davon singen, was die allzu großzügige „Reisefreiheit“ zu Zeiten der Pandemie letztlich bringt. Nach einer aggressiven Anwerbung vieler Touristen aus dem Delta-belasteten Großbritannien wurde der Großraum Lissabon nun wegen eines massiven Anstiegs der Inzidenzwerte dankt der Delta-Variante berits zum zweiten Mal am Wochenende komplett abgeriegelt.
„Weniger ist manchmal mehr“, weiß der Volksmund. „Sich begnügen“ ist nicht nur eine Tugend vorangegangener Generationen, sondern auch die notwendige Grundhaltung zur Bewältigung der Klimakatastrophe.
„Sich begnügen“ ist nicht einfach Verzicht. „Sich begnügen“ bedeutet, sich zufriedenzugeben mit dem, was man hat und was in der aktuellen Situation ohne Probleme für andere möglich nötig ist. „Sich begnügen“ beschränkt sich indes nicht nur auf das, was nötig ist, sondern kann auch ein wenig darüber hinausgehen.
„Sich begnügen“ wendet sich gegen Anmaßung und Maßlosigkeit. Die neoliberale Ideologie einer angeblichen Freiheit ohne jegliche Grenzen ist maßgeblich mitverantwortlich für die Zerstörung der Natur, der Biodiversität und des Klimas. Diese angebliche „Freiheit“ bringt in Wirklichkeit Unfreiheit über ärmere, andere Länder und kommende Generationen.
Derhedonistische Drang nach ständigem Vergnügen erstört auch diejenigen, die ihm nachgehen. Egoismus verhindert Solidarität und macht am Ende einsam. Egoismus verkennt die Einbettung jedes Menschen in die Gesellschaft und die Natur als regulierenden Rahmen allen Lebens.
In dem Wort „begnüen“ ist der selbe Wortstamm enthalten wie in „vergnügen“ und „genügen“. Das besagt, dass man genügend hat und dabei auch Vergnügen empfindet. „Sich begnügen“ ist also etwas Positives, während „verzichten“ eher eine negative Konnotation hat.
Darum wäre die deutsche Sprache reicher, wenn sie sich damit begnügen würde, den oftmals geforderten Verzicht häufig eher zutreffenderweise mit der Redewendung „sich begnügen“ zu bezeichnen. Wer sich mit dem begnügt, was ihm zum Leben reicht, der erreicht am Ende voraussichtlich ein besseres Leben als diejenigen, die sich über Forderungen nach Verzicht aufregen. Beim „Sich-Begnügen“ hingegen wünschen wir alle uns gegenseitig „Viel Vergnügen!“