Der G20-Gipfel in Hamburg bringt die Medien in ein Dilemma: Mit Berichten über Gewalt drängen sie friedliche Proteste und deren inhaltliche Anliegen in den Hintergrund. Doch schweigen über die Vorkommnisse bei den Demonstrationen können sie auch nicht.
Die Missachtung der Körperlichen Unversehrtheit von Menschen ist ein inakzeptabler Verstoß gegen die Grundlagen jeglichen Zusammenlebens. Letztendlich ist die gezielte oder billigend in Kauf genommene Verletzung von Menschen ein Ausdruck faschistoiden Denkens nach dem Prinzip angeblich „lebensunwerten Lebens“ ob von Demonstrierenden, Polizisten oder Politikern.
Das Lob der Polizei als „Helden“ und eine Schmähung jeglicher Kritik an Polizeieinsätzen zeugt von einer ebenso undemokratischen Gesinnung des 1. Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz. Bereits seine Garantie eines friedlichen Ablaufs des G20-Gipfels in Hamburg war gewagt; sein generalisierender Lobpreis für die Polizei und sein Kritikverbot sind berechtigter Grund für eine Rücktrittsforderung.
Mit dem Wort „Helden“ suggeriert er, die Demonstrationen hätten die Ausmaße eines Kriegs angenommen. Damit militarisiert er die Sprache in der notwendigen Auseinandersetzung um Gründe und Folgen der Gewalt.
Journalisten, die undifferenziert „der Polizei“ danken, sollten sich nach ihrer Funktion fragen. Als „4. Gewalt“ sollten sie Distanz zur Staatsmacht wahren, die ganz offensichtlich schwerwiegende Fehler begangen hat.
Viele tapfere Beamte haben ihren Kopf hingehalten für ein Ereignis, das durchaus kritikwürdig ist. Viele Beamte haben ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt zum Schutz der anwesenden Politiker, ihrer Begleitung und auch der Bevölkerung.
Die Einsatzleitung indes hat offenkundige Fehler begangen. sie müssen gerade auch in den Medien thematisiert werden, um ähnlich Vorkommnisse für die Zukunft auszuschließen.
Der erste Fehler war bereits die gezielte Eskalation bei der Demonstration „Welchome to Hell“ (W2H). Ohne Not gingen die Einsatzkräfte dort gegen Vermummte vor, die währenddessen von anderen Demonstrierenden noch aufgefordert wurden, ihre Vermummung abzulegen. Zahlreiche Journalisten berichteten, dass die Gewalt hier eindeutig von der Polizei ausgegangen sei.
Grundsätzlich beinhaltet das Gewaltmonopol des Staates in einem demokratischen Rechtsstaat aber unauflöslich die Pflicht zur Deeskalation. Gewalt darf immer nur die „Ultima Ratio“ bei Einsätzen der Polizei selbst gegen gewalttätige Gruppen sein.
Der zweite Fehler der Einsatzleitung war die stundenlange Abwesenheit der Polizei in der Straße „Schulterblatt“. Die Begründung, die Einsatzkräfte seien dort gefährdet gewesen und hätten erst das Eintreffen von Spezialkräften abwarten müssen, kann nicht überzeugen. Wenn die Polizei Dutzende von Wasserwerfern und Panzerwagen in der Nähe bereitstehen hat, muss sie auch über alternative Einsatzstrategien verfügen, zumal sie die entsprechenden Spezialkräfte bei derartigen Vorkommnissen gleich in der Nähe hätte bereitstehen haben müssen.
Ein weiterer Fehler war anscheinend auch ein stümperhafter Einsatz von Tränengas. Die hohe Zahl von verletzten Polizeibeamten ist darauf zurückzuführen, dass beim Einsatz von Tränengas nicht genügend auf die Windrichtung geachtt wurde, sodass die Polizei selbst dieses ungesunde Kampfgas abbekommen hat. Allein 130 Polizeibeamte aus Hessen wurden Opfer von Tränengas.
Insgesamt war die Polizeitaktik nicht genügend vorbereiet auf eine Situation, die vorher absehbar war. Mit Forderungen nach einem Verbot des Campf auf Entenwerder und einer anschließenden Missachtung gerichtlicher Beschlüsse hat die Hamburger Polizei nicht nur ihre verfassungsfeindlich Gesinnung deutlich gezeigt, sondern auch von eigenen Fehlern abzulenken versucht.
Wahrscheinlich war auch bereits die Einladung der G20 nach Hamburg ein Fehler. Treffen wie dieses sollten trotz berechtigter Kritik an den Beteiligten und ihrer Agenda stattfinden; allerdings müssen sie nicht unbedingt gerade in einer Großstadt über die Bühne gehen, wo der Protest dann eine ganze Millionenstadt lahmlegt.
Kritik an der Berichterstattung der Medien muss ebenso stattfinden wie Kritik an Demonstrierenden, die Gewalt gegen Menschen und massive Sachbeschädigungen oder Plünderungen als legitime Mittel des Protests ausgeben. Eine reflexhafte Distanzierungsfrage lenkt letztlich ab von der Notwendigkeit zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Protest.
Diese Missachtung der friedlichen Demonstrationen ist allerdings in erster Linie Folge der gewalttätigen Proteste. Wünschenswert wäre aber, wenn die Medien nun die kritischen Fragen an die Polizei richteten und auf die konstruktiven Forderungen der friedlichen Demonstrationen näher eingingen. Letztich ist eine weitergehende Fokussierung der G20-Berichterstattung auf Gewalt eine ungerechtfertigte Belohnung derjenigen, die friedliebenden Demokraten mit Böllern, Steinen und Flaschen militant die Schau gestohlen haben.